Kunstauffassung

Eine derartige Kunst lebt vom Ineinander von Aneignung und Ablehnung. Dieses Ineinander als Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen dekonstruiert die Gegebenheiten des Systems Kunst, indem sie diese gegen sich selbst wendet und sich auf diese Weise rekonstruieren kann. Sich in der Kunst behaupten, indem man so tut als ob dieses deutliche Moment der Nichtkunst Kunst wäre. Nichtkunst als Kunst. So kann man Dekonstruktion verstehen: Eine über die Kritik an den Bedingungen des Systems maßlos hinausgehende Kritik zu üben, als anmaßende Behauptung von etwas als Kunstwerk und zugleich von sich als Künstler, eben als einem, der hier neu Maß nimmt. Etwas ist jetzt Kunst im Singular, es gehört nicht mehr einer der traditionellen Künste an, sondern es behauptet sich durch die Behauptung eines sogenannten Ernenners als Kunst, als Phänomen jenseits des Metiers. Es ist jetzt Kunst, weil es so genannt wird, und nicht etwa, weil sie so aussieht. Die Prämisse heißt Kunst, und in dieser Eigenschaft leitet sie die Interpretation. Und so wird aus den, dem besonderen Allgemeinen ausgelieferten Dingen der Welt, das allgemein besondere Phänomen Kunst. Man bedient sich der Dinge dieser Welt und transformiert sie in den Anspruch auf Besonderheit. Im Gegensatz zu der klassischen Moderne handelt es sich hier aber nicht um Destruktion, sondern um Subversion. Die Richtung hat sich nämlich geändert: Die Alltagsdinge werden nicht mehr in die Kunst gehoben, sondern der Alltag saugt die Kunst auf. Nicht, dass solches "als ob" seiner Struktur nach etwas völlig Neues in der ästhetischen Arbeit wäre: Sobald es eine Spur, einen Verdacht gibt hat die Bedingung des "als-ob" bereits begonnen - und das ist das Unbedingte der Dekonstruktion.

Jenseits des Begriffs und des Bildes findet man nicht nur sich selbst, sondern auch den Ausdruck dessen, was durch die begriffliche Sprache nicht erfasst werden kann. Was nicht erklärt und nicht definiert, sondern nur als konkrete Realität, als Ereignis, erfahren werden kann, kann nur in etwas und nicht außerhalb von etwas sein. Kunst kann man nur in der Kunst lehren, und nicht indem man über Kunst lehrt. Kunst enthält die Nichtkunst in sich selbst, oder enthält die Differenz zu sich selbst, die es erst zur Kunst macht. Deshalb sind Kunstwerke wie z.B. die "AcadémieGalan", das "Laotische Dorf" oder auch das "Maison bleue" immer ein Exzess, eine Anmaßung, ausgelöst durch Maßlosigkeit, eine Überschreitung der Zeichen. Indem die Kunst und auch ihre Werke sich jeweils auf sich selbst beziehen müssen, vorerst, werden sie sich ähnlich und so erst sie selbst. Um sich so zu gleichen, müssen sie sich zusammensetzen, müssen sie sich ihrem Außen entziehen.

Das Kunst-Sein wird also dem Kunst-Sein entrissen, und das Kunstwerk ist das, was reißt. Es trägt das Zeichen dieser Überschreitung, dieses Ent-reißens in sich. Gleichzeitig ist es die Ankündigung einer Offenbarung, zu der es vielleicht niemals kommen wird. Dieses gefährliche, philosophische "vielleicht" spricht von einem Ereignis, das, ohne darum zwangsläufig morgen schon einzutreten, vielleicht noch kommt, vielleicht im Kommen bleibt.

Dieses Forschungs- und künstlerische Entwicklungsprojekt hat ebenso Anteile eines Studienprojektes, in welchem die Vermittlung und das Experiment in künstlerischen, ästhetischen Kommunikationsprozessen ausprobiert und untersucht werden.

Jeder Performativ bringt etwas hervor und zeitigt ein Ereignis. Aber was derart macht und geschehen macht ist unbedingt und nicht notwendig ein bedingtes signaturfähiges Werk.

Es kann nur das Unmögliche passieren. Die solchermaßen definierte Dekonstruktion ist weder eine Methode noch eine Lehre, sondern das, was passiert. Dieses Überschreiten sowohl des Performativs als auch der Opposition, des Konstativs, ein Hin-und-Her zwischen beiden gälte es erneut und immer wieder in der Kunst Ereignis werden zu lassen. Es ist diese stets teilbare Grenze, auf der das, was geschieht, geschieht. Und sie ist es auch selbst, die dadurch verwandelt wird. Diese Grenze des Unmöglichen. Gibt es dabei ein Ding, so wird nicht mehr dessen Aussehen gezeigt, sondern durch das Aussehen oder aus ihm hervorgehend dessen Überschreitung. Wahrscheinlich ist der ästhetische Vorgang dieses Bevorstehen eines Ereignisses, zu dem es vielleicht gar nicht kommen wird, sondern gerade dieses Nicht-Eintreffen möglicherweise das Eintreffen des Ereignisses ist. Aus Nicht-Kunst wird dadurch, dass wir diese als solche erkennen konnten, Kunst.