Ein Dorf ist keine Stadt

Bisher wachsen zwei Projekte an der AcadémieGalan im Südwesten Frankreichs: Das "Laotische Dorf" und "...unentwegt...". Beide Projekte sind Kooperationen zwischen der AcadémieGalan (F) und der Hochschule für Künste Bremen (D)

von Burkhard Straßmann

Ein Dorf ist keine Stadt. Einer siedelt und baut, einer gräbt und gründet, jemand stellt sein Zelt wohin. Aus der Ferne faucht ein alter Traktor heran, schleppt einen Bauwagen, und schon ist man wieder einer mehr. Erst hüpft man über Brennnesseln, um sich zu besuchen, dann wachsen Trampelpfade zwischen den Häuschen, Hütten und Erdlöchern, und eines Tages trifft man sich zum großen Ratschlag: Was tun wir mit dem Zwischenraum? Ein Stück gestampften Lehms, ein paar Meter Buchsbaumhecke, eine Rose, die täglich Wasser braucht – das könnte schließlich der Anfang von etwas sein. Von etwas Kommunalem. Vielleicht sogar von etwas Sozialem.

Das Laotische Dorf ist nicht laotisch und auch kein Dorf. Immerhin aber existiert es. Man kann hinfahren. Man darf hinfahren. Vielleicht sollte man hinfahren. Seit 1997 existiert dieses Undorf als Kunstprojekt der Bremer Hochschule für Künste. Seitdem entwickelt es sich leise in ausgesprochen marginaler Lage – am Südwestrand von Frankreich, am Rand der Pyrenäen, am Rand den "Jakobswegs", der Pilger nach Santiago di Compostella führt, am Rand des vollständig abgelegenen 800-Seelen-Dörfchens Galan, und am Ufer des meist sehr kleinen Flüsschens Baisole.

Das Laotische Dorf ist das erste Projekt

des Bremer Kunstprofessors Rolf Thiele und dem Kunstwerk AcadémieGalan auf diesem sechs Hektar großen Stück Land, dieser Wiese, diesem zum meist sehr kleinen Flüsschen Baisole abfallenden Gelände, das der Kunst geweiht wurde. Oder besser der Dekonstruktion in der Kunst. Oder noch besser: der Nicht-Kunst als Kunst.

Galan ist ein Sehnsuchtsort

Ein Hang, eine Wiese, eine Flussbiegung, mehrere herumstehende Objekte, die sich bei näherer Betrachtung als Unterkünfte, Grabstätten, Türme, Memorials oder magische Hochbauten entpuppen können. Im Laotischen Dorf in Galan treffen Künstler auf Kunststudenten, Kombattanten im Kampf um einen lebendigen Kunstbegriff auf Leute, die der Begriff "Ästhetik der Überforderung" elektrisiert. Menschen, die die Kunst lieben, reiben sich an solchen, die es nicht so genau wissen, es aber genau wissen wollen. Man kann leben, künstlerisch arbeiten, essen, streiten, trinken und dem wilden Denken verfallen. Es geht um einen vorläufigen Diskurs, der zugleich individueller Ernstfall ist. Es kann in Galan passieren´und ist sogar die Regel, dass man aus seinen Sicherheiten fällt, aus seiner Tüchtigkeit und Produktivität kippt, sein Material verliert und ganz ohne Konzept seinen Restart-Knopf drückt. Darum ist Galan ein Sehnsuchtsort.

Das wilde Denken gestattet Undenkbares: dass es Authentisches geben könnte; dass in der Nicht-Kunst eine Kunst aufscheinen könnte, die die Trennungen der Moderne heilt; dass Denken und Kunst eins sein könnten und Denken nicht kalte trockene Analyse hieße, sondern "ins Labyrinth eintreten, einen Irrgarten entstehen lassen, sich in Gängen verlieren, die es nur deshalb gibt, weil wir sie unablässig graben", wie der Philospoh Cornelius Castoriadis es formulierte.

...unentwegt...

Jetzt geht es um die Zwischenräume. Oder, ungenauer: um Landschaft. Das zweite Galan-Projekt heißt "...unentwegt..." – Künstlergärten in Galan. Manche reden auch von Irrgarten Denken. Hier geht es um die Natur zwischen der Kultur und die wunderbare Chance, das von herkömmlichen Kunstzugriffen fast vollständig verschonte Arbeiten mit Vegetation zum Thema zu machen: Gartenkunst ist B-Kunst, verachtet, und muss nicht erst zur Nichtkunst dekonstruiert werden, um Nichtkunst zu sein. Vielleicht, weil das Material so voller Eigensinn steckt, denn es lebt ja selbst. Es ist seinen eigenen genetischen Gesetzen unterworfen, wächst, ändert sich, setzt um, scheidet aus, verfällt. Das Material der Gartenkunst ist schwer verplanbar. Man muss vom Wetter reden. Man muss sogar demütig werden, aufmerksam, man muss pflegen. Die künstlerisch-ästhetischen Untersuchungen erstrecken sich somit auf die eigene Lebensführung. Ein Projekt voller verlockender Risiken. Und mit einem überraschenden Ausmaß an Verantwortung, denn der Künstler/ Gärtner hat mit anachronistisch langen Zeiträumen zu tun.

Das Projekt "...unentwegt..." ist europäisch gedacht in dem Sinne, dass es sich in Bremen, Riga und Galan ereignet, und läuft seit Sommer 2005. Neben Gärten und Landschaftseingriffen sind ein Archiv, eine Zeitschrift, ein Film, eine Internet-seite und eine Edition geplant. Sicher ist bisher jedoch nur, dass alle Teilnehmer die einzigartige Gelegenheit haben, sich in den Labyrinthen ihres eigenen und des dort herrschenden laotisch-chaotischen Denkens zu verlieren. Denn Irrgartenkunst ist eine subversive Disziplin der Landschaftsplanung, sie ist potenzielle Kunst: "Es kann nur das Unmögliche passieren" (Thiele).